24. Februar 2014 | Schloss Herrenhausen Hannover | Prof. Dr. Adrian von Buttlar

„Von Herrenchiemsee nach Herrenhausen – Über „falsche“ Schlösser und „kritische“ Rekonstruktionen“

Wäre Georg Ludwig Friedrich Laves auf die Idee gekommen, das Schloss in Herrenhausen heutzutage im klassizistischen Stil neu zu bauen? Wolfgang Schneider, Vorsitzender der Lavesstiftung und Präsident der Architektenkammer Niedersachsen, gibt den gut 270 Zuhörern von „Architektur im Dialog“ am 24. Februar 2014 im großen Tagungssaal eben dieses Schlosses die Antwort gleich selbst: „Zweifel sind angebracht.“

Schneider lobt die Innenräume, die mit gradliniger Gestaltung und kühler Strenge den hohen Ansprüchen der Nutzung als Tagungszentrum folgten. Ein Architektenwettbewerb, aus dem das Hamburger Büro Jastrzembski Kotulla als Sieger hervorging, schaffte die Grundlage für die zeitgemäße Umsetzung. Doch für die Fassade gab der Bauherr VolkswagenStiftung den Klassizismus nach Laves vor. Das Schloss steht. Den Hannoveranern gefällt‘s. Ist die Rekonstruktionsdebatte damit eine rein akademische?

Adrian von Buttlar vom Institut für Kunstgeschichte und Historische Urbanistik der TU Berlin und Gastredner des Abends kritisiert die Divergenz zwischen innen und außen dieser Art von Wiederherstellungen. Innen „schnittiges Interieur“, außen „emotionale Machtrekonstruktion“. Geschichte werde getilgt, Geschichte werde rekonstruiert. „Attrappenkult“ nennt er das. Sein Vortrag dreht sich um den Realitätscharakter der falschen Schlösser – sei es in Potsdam, Herrenchiemsee, Saarbrücken, Berlin oder Herrenhausen.

Und die Diskussionen darum werden nicht von Fachleuten und ihren Expertisen entschieden, sondern oftmals einfach vom Geld, wie von Buttlar anmerkt. So brachte TV-Moderator Günther Jauch die Überlegungen zum Potsdamer Stadtschloss, hinter dessen Fassade heute der moderne Landtag von Brandenburg tagt, überhaupt erst in Gang. SAP-Gründer Hasso Plattner spendete 2007 dann nicht weniger als 20 Millionen Euro, um den Wiederaufbau des Stadtschlosses tatsächlich zu realisieren, nachdem dieser zuvor wegen Geldmangels fraglich geworden war. Gegen so viel monetäres Argument seien kritische Akteure machtlos, so der Historiker.

Von Buttlar fordert einen kreativen Umgang mit städtischen Reparaturen. Geschichte müsse „lesbar“ bleiben, da reiche auch eine Fuge – wie im Braunschweiger „Shopping-Schloss“ als Hinweis auf den Hybrid aus äußerem Hoheitszeichen und innerer Kommerzarchitektur – seiner Ansicht nach nicht aus. Von Buttlar präsentiert bessere Lösungsansätze, wie den vom Büro gmp für das Berliner Stadtschloss. Die moderne Medienfassade, die das Antlitz des Schlosses als Pixel-Darstellung hätte wiederauferstehen lassen, sei ein intelligenter Vorschlag gewesen. Gebaut wurde dieser Entwurf bekanntlich nicht, was gmp nicht davon abhielt, jetzt in Partnerschaft mit Franco Stella die Rekonstruktion des Schlosses nach dessen Plänen anzugehen. Eine „städtebauliche Therapie zur Wundheilung“ sei dies, ätzt von Buttlar, eine „Pseudo-Lösung“, die keiner Zeitschicht gerecht werde.

Bei so vielen deutlichen Worten rutscht das Publikum unruhig auf den Plätzen, als Herrenhausen auf die Leinwand geworfen wird. Doch erleichtertes Aufatmen nicht nur im Saal, auch bei von Buttlar. Ziel und Ausgangspunkt des Schlosses in Hannover sei die barocke Gartenanlage, in die ein Schloss ungleich besser passe als in die Situationen der anderen Städte. Der Platz sei zudem vorher nicht besetzt gewesen, der Bau ein nachvollziehbarer Lückenschluss und – im Gegensatz zum Berliner Stadtschloss – ohne gesamtdeutsche Bedeutung. Die innenliegende moderne Architektur werde durch die im Boden versenkten und verglasten Lichthöfe als autonomes Gebäude erkennbar. Alt und Neu werde so zu einem organischen Ganzen.

Andreas Denk, Chefredakteur von „der architekt“, spendete in der anschließenden Diskussionsrunde nicht so viel Lob. Eine „vertane Chance“ sei der Bau, und die Architekten habe man zu „Dekorateuren“ degradiert. Eine „ganzheitliche Betrachtung“ als Zentrum des architektonischen Entwurfs hätte ermöglicht werden sollen, der Architekturbegriff der VolkswagenStiftung greife zu kurz. Auch Sven Kotulla, der mit seinem Büro den Schlossneubau realisierte, hätte sich eine komplett moderne Lösung vorstellen können. Aufgrund der historischen Prägung des Umfelds könne er aber mit dem Klassizismus leben. Von Buttlar betonte noch einmal, dass der Umgang mit den Zeitschichten entscheidend und in Herrenhausen zufriedenstellend geglückt sei. Dennoch: Eine Ausdehnung des Wettbewerbs auf die Fassade hätte auch er sich gewünscht.

Wilhelm Krull, Vorsitzender der VolkswagenStiftung sah’s zum Ende hin gelassen. Das Schloss steht. Das Schloss ist akzeptiert. Alles andere bleiben tatsächlich akademische Fragen. Diese hatten ausreichend Platz an diesem Abend und an den zwei Tagen in Herrenhausen. Und was Laves gesagt hätte, wenn er eingeladen gewesen wäre? Vermutlich hätte er sich gefreut.

 

Fotos: Agata Szymanska-Medina