29. Mai 2007 | Altes Rathaus Hannover | Sir Peter Torry

Botschaften des Botschafters

Der Klimaschutz ist jedoch zunehmend nur eine Seite der Medaille. Die andere ist die Energie. Unser zweites gemeinsames Interesse. Rasche Fortschritte werden ohne ein abgestimmtes internationales Vorgehen kaum möglich sein. Und dies ist erfreulicherweise ein weiterer Bereich, in dem die Architekten ihren Teil dazu beitragen, indem sie die technologische Entwicklung und die Nutzung alternativer Energien vorantreiben. Im Falle Deutschlands kommt hinzu, dass das Bestehen auf höchsten ökologischen Standards diese Entwicklung begünstigt.

Ein gutes Beispiel für umweltfreundliches Bauen ist Lord Norman Fosters Bürogebäude für die Swiss RE, das den Spitznamen „gherkin“, Gurke, bekommen hat. Es ist das erste Öko-Hochhaus Londons.

Der dritte Bereich, in dem sich Diplomatie und Architektur berühren, ist die „Corporate Social Responsibility“ – abgekürzt CSR. Die britische Regierung fördert CSR, weil sie erreichen will, dass der private ebenso wie der öffentliche Sektor die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Folgen ihres Handelns berücksichtigen.

Das Ziel ist, ein besseres Umfeld für eine Nachhaltige Entwicklung zu schaffen. Für Architekten kann das Verschiedenes implizieren. Die Beschaffung von Baumaterial weitgehend vor Ort. Die Einhaltung arbeitsrechtlicher Bestimmungen, z.B. des Rechts der Arbeitnehmer auf faire Bedingungen und Standards am Arbeitsplatz. Und schließlich, gerade auch in anderen Teilen der Welt, das Empowerment der örtlichen Bevölkerung durch den Transfer von Know-how und Fertigkeiten.

Bei der Bewältigung dieser Herausforderungen, vor denen wir heute alle stehen – Klimaschutz, Energiesicherheit, Nachhaltige Entwicklung – kommt den Architekten also eine besondere Aufgabe zu. Großbritannien und Deutschland spielen hier eine Vorreiterrolle.

Schließlich haben wir ein gemeinsames Interesse und gemeinsame Erfahrungen, die sich im Lauf von zwei Jahrhunderten herausgebildet haben. Bereits im 19. Jahrhundert betrachteten viele britische Architekten Deutschland als natürliches Betätigungsfeld. Der britische Ingenieur William Lindley baute 1842 in Hamburg ein vollständig neues Abwassersystem, nachdem dort ein Drittel der Stadt Hamburg abgebrannt war. Das ursprüngliche Reichstagsgebäude hätte genauso gut von einem britischen Architekten gebaut werden können. George Gilbert Scott, Architekt des britischen Außenministeriums, gehörte zu einer Gruppe von Engländern, die zum Wettbewerb für den Reichstag im Jahr 1872 Beiträge einreichten. In der Schlussrunde wurden nur deutschsprachige Architekten zugelassen, doch der zweite Preis ging tatsächlich an einen anderen Briten, Edward Godwin.

Deutschlands Interesse an britischer Architektur hat sogar eine noch ältere Tradition. Karl Friedrich Schinkel, Preußens Geheimer Oberbaurat, unternahm im Jahr 1826 eine Reise nach England und Schottland. Von einer Einbahnstraße der Beziehungen kann also keine Rede sein. Um die Jahrhundertwende war das Interesse in Deutschland an allem Englischen immer noch ausgesprochen groß. Die deutsche Botschaft in London beschäftigte sogar eigens einen Architekturattaché, Hermann Muthesius. Sein Auftrag bestand darin, Berlin über die jüngsten Neuerungen Bericht zu erstatten. Nach der Schließung des Bauhauses 1933 kamen führende deutsche Architekten ins Land – Walter Gropius und Erich Mendelsohn, um nur zwei zu nennen. Gropius schuf zusammen mit dem Engländer Maxwell Fry die Grundlagen für die britische Moderne der Nachkriegszeit.

In jüngerer Zeit hat der Prinz von Wales sich sehr darum verdient gemacht, das Profil und das Niveau der Architekturdebatte in Großbritannien zu heben. Seither erstreckt sich die Exportförderung der britischen Regierung auch ausdrücklich auf Architektur und Architekturdesign. Heute haben die britischen Design-Berufe ein gewisses Renommee im Ausland, vielleicht wegen des Ansehens britischer Architekten wie Norman Foster und Richard Rogers.

Weniger bekannt ist vielleicht die starke Präsenz von mittelständischen Unternehmen anderer Bereiche des Bauwesens auf den Auslandsmärkten: zum Beispiel Bauingenieure, Subunternehmer, Berater, Hersteller von Bau-Produkten und -Materialien. So kommt es, dass Großbritannien in den letzten zehn Jahren deutlich mehr baugewerbliche Leistungen exportiert als importiert hat. Allerdings ändert sich dieser Trend zurzeit, da Großbritannien sich mehr für die Ideen anderer Länder öffnet.

Ein Bereich, in dem Großbritannien erhebliches Potenzial für Importe bietet, ist die technologische Innovation im Bausektor – vor allem in Bezug auf modernes Bauen und nachhaltige Bauverfahren, Komponenten und Materialien.

Der größte Beitrag, den Deutschland heute zur Zukunft der Bauwirtschaft in Großbritannien leistet, sind die vielen gut ausgebildeten und talentierten jungen deutschen Architekten, Stadtplaner und Ingenieure, die in Großbritannien arbeiten. Insgesamt gesehen wird die hohe Qualität der Materialien und der Ingenieurkunst, die von deutschen Unternehmen angeboten wird, in Großbritannien sehr geschätzt. Das gilt besonders für umweltfreundliches Design und umweltfreundliche Technologie. Da die EU-Richtlinie über das Energieprofil von Gebäuden höhere Anforderungen an die Energieeffizienz stellt, wird nicht zuletzt der Bedarf an innovativen Heiz- und Isoliersystemen steigen. Sie sind in Deutschland schon gang und gäbe, in Großbritannien aber noch die Ausnahme.

Architektur und Stadtplanung sind schon seit über einem Jahrzehnt eine Konstante der Beziehungen zwischen Deutschland und Großbritannien. Aber wegen der neuen Anforderungen und der steigenden Nachfrage in diesen Sektoren, vor allem nach umweltverträglichem und „intelligentem“ Design, wird der Markt weiter wachsen. Die britischen Architekten bilden heute die Weltspitze für architektonische Originalität und Innovation. Sie verbinden Coolness und Ironie, Klugheit und Irrationalität, Pragmatismus und ästhetischen Wagemut, Geschäftssinn und eine entwaffnend sympathische Aufrichtigkeit. Aber da die deutschen Bauherren auf höchsten ökologischen Baustandards beharren, müssen sich die britischen Architekten auch etwas einfallen lassen!

Es war vermutlich James Stirlings spektakulärer postmoderner Erweiterungsbau der Staatsgalerie Stuttgart Ende der Siebzigerjahre, der die Schleusen für britische Architekten geöffnet hat. Seither haben britische Architekten bedeutende Projekte in Deutschland realisiert. An erster Stelle ist natürlich Lord Norman Fosters Umbau des Reichstagsgebäudes zu nennen, schon wegen seiner symbolischen Bedeutung. Kühnes Wahrzeichen in der Berliner Stadtlandschaft, Dreh- und Angelpunkt für die demokratischen Hoffnungen für das neue Jahrtausend und auch Erinnerung an die dunkelsten Tage einer gar nicht so fernen Vergangenheit. Dass der Bundestag einen britischen Architekten mit einem Projekt betrauen konnte, das dem Herzen der Nation so nahe steht, trotz erheblichen Widerstands von Seiten der Medien, spricht für die Aufgeschlossenheit der deutschen Demokratie. In der neuen deutschen Hauptstadt wollten wir Großbritannien auch als dynamisches, innovatives und in die Zukunft blickendes Land präsentieren.

Michael Wilfords Botschaftsgebäude verwendet in der Fassade den gleichen Sandstein wie das Brandenburger Tor. Es genügt strengen Bauvorschriften. Damit respektiert es die Vergangenheit, aber gleichzeitig ist es Teil des jungen, kühnen und lebendigen Berlins. Sobald man eingetreten ist, ist von diplomatischer Abgeschiedenheit und Zurückgezogenheit nichts mehr zu spüren. Stattdessen bekommt der Besucher im lichtdurchfluteten Raum einen Eindruck von der Offenheit, Zugänglichkeit und Transparenz des Gebäudes. Das Gebäude ist auch das erste Beispiel für ein Projekt, das im Rahmen einer Private Finance Initiative in Deutschland verwirklicht wurde. Dies ist ein Bereich, in dem Deutschland vielleicht etwas von Großbritannien lernen kann. Deutsche Architekten haben wahres Talent. Ich hoffe, dass sie bald Gelegenheit haben werden, ihr architektonisches Können auch durch den Entwurf britischer Botschaften oder Konsulate weltweit unter Beweis zu stellen.

Fotos: Kai-Uwe Knoth