20. September 2018 | Altes Rathaus, Hannover | Vorträge und Podiumsgespräch

„Jeder Stein erzählt eine Geschichte“

Lavesstiftung fragt bei „Architektur im Dialog“ nach der Wertschätzung des Backsteins und was wir von Conrad Wilhelm Hase noch lernen können

„Putz ist eine Lüge“ soll Conrad Wilhelm Hase mal gesagt haben. Sein Material war der Backstein. Noch heute prägen Christuskirche und Künstlerhaus Hannover, zahlreiche weitere Bauten sind übers Land verstreut. Hase hinterließ ein großes gebautes Erbe und gehört zu den einflussreichsten deutschen Architekten der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – auch wenn er immer etwas im Schatten von Laves stand. Im Oktober jährte sich sein Geburtstag zum 200. Mal. Wolfgang Schneider, Vorsitzender der Lavesstiftung, wollte bei „Architektur im Dialog“ Mitte September 2018 in Hannover jedoch nicht zurückblicken, sondern fragte, was wir heute noch von Hase lernen können. Er hatte drei Architekten eingeladen, die auch heute selbstbewusst und begeistert mit Backstein bauen. Andreas Heller aus Hamburg stellte das vielfach ausgezeichnete Europäische Hansemuseum in Lübeck vor, die Bremer Jan und Benjamin Wirth den ebenfalls prämierten Remisenpavillon, eigentlich eine Garage und doch viel mehr.

Zur Vorbereitung auf die Planungen zum Hansemuseum gingen Andreas Heller und sein Team auf Spurensuche bei den Backsteinbauten in Lübeck und entdeckten die „Geschichten in den Fassaden“, auch die „Verletzungen“ und die sich überlagernden historischen Schichten. Mit diesen Erfahrungen und aus dem Wissen heraus, dass Hase ein „inszenierender Architekt“ gewesen sei, setzten sie das neue Museum mit einem extra entworfenen Backstein in Szene. Jeder dieser neuen Steine erzähle nun ebenfalls seine Geschichte, so Heller.

Jan und Benjamin Wirth sollten eine Garage bauen und bauten aus alten Backsteinen aus einer Brandruine und aus einer vom Blitz getroffenen Eiche einen überdachten Freisitz, einen Partyraum, ein Lesezimmer und ja, auch einen Autoabstellplatz – alles in einem. Der Remisenpavillon mit seinem Lochmauerwerk habe sich quasi „von selbst entworfen“. Backstein ist auch in vielen anderen ihrer Projekte stilbildend. Eine „beständige Sichtweise“ nennen die beiden Bremer Architekten das.

Vorbild Hase? Dr. Marcus Jager, Professor für Bau- und Stadtbaugeschichte an der Leibniz Universität Hannover, sagte, es seien nicht Hases Schüler, sondern erst seine „Enkel“ gewesen, die der Backsteinarchitektur neue Impulse verliehen hätten, beispielsweise Hans Kollhoff. Heller bedauerte, dass Backstein, obwohl sehr nachhaltig, beim aktuell erforderlichen schnellen und kostengünstigen Bauen aus Kostengründen kaum eingesetzt werde, allerhöchstens als Riemchen, was wiederum die Bauschäden der Zukunft bereits implementiere. Die Fassade werde nicht genug wertgeschätzt und Baukultur, die auch eine soziale Wirkung habe, sei „in der Politik nicht angekommen“. Ihn treibe das zur inneren Verzweiflung. Für seine Sichtweise gab es Applaus.

Was hätte Hase wohl zu Riemchen gesagt, wollte Moderator Nils Ballhausen wissen. Hase habe in seinen Bauten die heile Welt gesucht, sagte Jager, er sei zwar vermutlich „ein ironischer Zeitgenosse“ gewesen, aber kein „Visionär“. Vielleicht friste daher ein Großteil seines Werks heute ein Schattendasein. Doch eines, darauf wies Benjamin Wirth hin, war Hase ganz sicher: Ein hervorragender Baumeister. Von Hase lernen heiße daher auch, so Heller, wieder zu einem „engeren und emotionaleren Verhältnis zwischen dem Architekten und dem, der baut“, zu kommen. Heller stellte den Maurern am Hansemuseum über die gesamte Bauzeit einen Architekten zur Seite. Waren die Handwerker erst von dem Aufpasser genervt, so waren sie später stolz auf die liebevollen Details, die aus dieser Zusammenarbeit resultierten. Praxisbezug, den könne man von Hase lernen.

Und der Putz? Ist er nun tatsächlich eine Lüge? Heller glaubte nicht an „Wahrheitsbegriffe in der Architektur“. Am Ende war diese Frage aber auch nicht so wichtig. Dass Backstein nämlich ein nach wie vor zukunftsfähiges Material ist, darauf konnten sich alle einigen.

Fotos: Kai-Uwe Knoth