30. November 2009 | Altes Rathaus Hannover | Prof. Dr. Dr. h.c. Margot Käßmann

Räume für Menschen

Margot Käßmann kennt wohl mehr Kirchen in Niedersachsen als sonst jemand. Fast jeden Sonntag predigt die hannoversche Landesbischöfin und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland in einem anderen Gotteshaus.

Sie weiß also wovon sie redet, wenn sie von den Räumen spricht, die die Kirche den Menschen anbietet. Was diese Räume ausmacht und warum sie erhalten werden müssen, erklärte die Theologin am 30. November 2009 auf Einladung von Wolfgang Schneider, Vorsitzender der Lavesstiftung, in der Reihe „Architektur im Dialog“ den über 300 Zuhörern. Schneider bedauerte eingangs, dass die Kirche kaum noch Neubauten in Auftrag gibt. Die Zukunft läge in Umbau und Umnutzung, wobei die Architekten auch hier die richtigen Ansprechpartner seien.

Käßmann ist jedoch keine Architektin. Und wer erwartet hatte, sie würde über ihre zahlreichen Berührungen mit dem Berufsstand plaudern, moderne Kirchenbauten sezieren oder gar Leitbilder guter Kirchenarchitektur entwickeln, sah sich getäuscht. Käßmanns Ansatz stellt die Menschen in den Mittelpunkt, für die die Architekten ja ebenfalls tätig sind oder sein sollten. Sie will den Menschen Ruhe, Stille, Andacht aber auch Gemeinsamkeit, Begegnung und Erlebnis in den Gotteshäusern anbieten. Ob dies in einer Holzbaracke oder in einem prunkvollen Dom geschieht, erscheint ihr dabei nebensächlich. Gleich sei allen Gotteshäusern die Ausrichtung auf Christus, was den Räumen Struktur und den Menschen Halt gebe.

Nach 1945, erinnerte Käßmann, seien die Kirchen von den Architekten bewusst funktional und schlicht gestaltet worden. Man spüre aber heutzutage wieder stärker, dass die Gemeinden ihre Räume schmücken wollten, da diese Räume eben mehr seien, als nur ein Dach über dem Kopf.

Grundsätzlich aber funktioniere auch eine reduzierte Architektur wenn sie denn die Entwicklung von Spiritualität zulasse, wie das Beispiel des Christus-Pavillon auf der Expo 2000 in Hannover zeigte. Käßmann gab zu, dass sie dem kühlen Stahl- und Glasbau der Architekten von Gerkan, Mark und Partner aus Hamburg damals skeptisch gegenüber stand, dann jedoch umso mehr spürte, wie die Menschen diese Kirche annahmen und mit Leben füllten. Gotteshäuser, so die Bischöfin, müssten den Menschen nahe sein. Hierfür müssten sie die Balance zwischen Tradition und Innovation halten. Gleichzeitig sei Mut beim Bauen für die Kirche vonnöten. Eine Aufgabe, die sie auch bei den Architekten sah. Dies wird jedoch umso schwieriger, je weniger Mitglieder die Kirche hat. Statt zu Neubau, kommt es derzeit eher zum Umbau, zum Verkauf oder in letzter Konsequenz zum Abriss. Käßmann zieht jedoch den Abriss einer Fremd- oder Umnutzung zum Teil vor. Eine Diskothek kann sie sich in einer ehemaligen Kirche nicht vorstellen.

Der Anblick der Luther Kirche in Moskau, die zu Sowjetzeiten ein Schwimmbad beherbergte, tat ihr regelrecht weh. Die Kirche stellte bereits 2004 Kriterien für die Umnutzung ihrer Gebäude auf. Die Umwidmung der Gustav-Adolf-Gemeinde zum Zentrum und Synagoge der Liberalen Jüdischen Gemeinde in Hannover ist auch für Käßmann ein Erfolg dieser Kriterien, der gleichzeitig den Zusammenhalt der Ökumene stärke. Der gelungene Umbau der Kirche durch das hannoversche Büro ahrens grabenhorst verdichte dabei Moderne und Tradition zu einer besonderen Ästhetik.

Vielleicht kann also auch die Architektur dabei helfen, was Käßmann am wichtigsten ist, nämlich die Sehnsucht nach den Räumen der Kirche wieder zu stärken, sodass es zu Umnutzung oder Abriss gar nicht erst kommt. Sie plädierte dafür, die Kirchen wahrzunehmen und Mut zum Erhalt der Gebäude zu entwickeln. Bereits zu Anfang ihres Vortrags zitierte sie in diesem Sinne aus dem Roman „Nachtzug nach Lissabon“ von Pascal Mercier, in dem der Protagonist feststellt: „Ich möchte nicht in einer Welt ohne Kathedralen leben.“ Diese, so Käßmann, böten in einer hektischen und konsumorientierten Zeit unentbehrliche Räume gegen das Chaos, die nicht preisgegeben werden sollten.

Die Architekten im Publikum stimmten zu und doch erhielten sie von der Bischöfin keine nähere Bauanleitung für die anstehenden und skizzierten Aufgaben im Gebäudebestand der Kirche. Worauf es bei einem guten Kirchenraum jedoch ankommt, sagte Käßmann durchaus. Die Architektur allein, soviel wurde deutlich, erschafft jedenfalls noch keine Kirche.

Fotos: Nancy Heusel